Ausstellung im Wallenfels´schen Haus mit Daumier-Karikaturen eröffnet – Antike Helden mit spitzer Feder aufgespießt

GIESSEN (ts). Ausgerechnet die Alterstumswissenschaftler holen im Jubiläumsjahr der Universität ihre antiken Helden vom Sockel: In der Antikensammlung des Wallenfels´schen Hauses ist am frühen Mittwochabend die Ausstellung “Wahre Helden” mit 32 ausgesuchten Litografien des bekannten französischen Zeichners und Karikaturisten Honoré Daumier (1808 bis 1879) eröffnet worden. Die Blätter korrespondieren dabei mit originalen Fundstücken aus Troja und Mykene. Zahlreiche Besucher drängten sich bei der Vernissage in den engen Räumlichkeiten des Museums. “Daumier hat es auf so Leute wie uns abgesehen”, bemerkte Prof. Peter von Möllendorf in seinem Grußwort voller Selbstironie. In jedem Altertumsforscher stecke eben ein Antikenfan: Man freue sich zwar, wenn die großen mythologischen Gestalten durch den Kakao gezogen würden, aber man freue sich gleichzeitig weniger, weil man selbst einige Kakaospritzer abbekomme.

Mit spitzer Feder hat Honoré Daumier die Helden des klassischen Altertums und ihre Ruhmestaten aufs Korn genommen. Er war ein scharfer Beobachter seiner Mitmenschen und ihrer Schwächen und stellte den Alltag der einfachen Leute ebenso dar wie das Leben der arrivierten Bürger. In den in Gießen gezeigten Werken hat der Spötter die bürgerliche Antikenbegeisterung des 19. Jahrhunderts ins Visier genommen und die Helden wieder aufs menschliche Maß zurechtgestutzt. Auf dem Blatt “Ein waschechter Held” sieht man, wie Thetis ihr Baby Achill im Fluss Styx badet, um den Jungen unverwundbar zu machen, und ihn dabei an der Ferse, der späteren Achillesferse, festhält. Hintergrund dieser Zeichnung waren die zum Teil miserablen hygienischen Zustände in den öffentlichen Pariser Badeanstalten. Eine andere Karikatur mit dem Titel “Eine zündende Idee” zeigt den Sturz des Ikarus: Völlig ungerührt verfolgt Dädalus durch ein anachronistisches Fernrohr das misslungene Flugexperiment seines Sohnes. “Mörderische Liebe” thematisiert den Selbstmord der Dichterin Sappho, wobei Daumier den kleinen Liebesgott Amor bei Sapphos Sprung vom Felsen kräftig nachhelfen lässt. Der legendäre Raub der Helena spielt sich bei ihm auch ganz anders ab: Auf dem Blatt “Eine tragende Rolle” wird nicht Helena von Paris entführt, sondern die alles andere als anmutige Königin trägt den lässigen Dandy auf ihren kräftigen Schultern wie eine Siegesbeute davon. Mit dieser Karikatur wollte der Zeichner der Frauenbewegung eins auswischen. Schließlich begegnet einem noch ein ziemlich schmächtiger Sisyphos, der einen riesigen Stein mit der Aufschrift “Budget” den Berg hinauf zu stemmen versucht. Hiermit spielte Daumier auf die unermesslichen Militärausgaben im Vorfeld des deutsch-französischen Krieges 1870/71 an.

Dr. Matthias Recke vom Institut für Altertumswissenschaften hat diese Präsentation mit sechs sehr engagiert arbeitenden Studenten konzipiert und zusammengestellt. Sie hatten das große Glück, aus der Privatsammlung der Schweizer Familie Noack, die alle 4000 Litografien Daumiers besitzt, 32 mit antiken Themen auswählen zu dürfen. Unter Reckes Regie ist ferner ein reich illustrierter Ausstellungskatalog erschienen, der eine kenntnisreiche Einführung in das Leben und Werk Daumiers bietet sowie alle Exponate ausführlich kommentiert und sie in Beziehung zu Vergleichsstücken stellt.

Der Katalog ist dem langjährigen Professor für klassische Archäologie, Wolfram Martini, gewidmet, der die Antikensammlung im Wallenfels´schen Haus vor 20 Jahren aufgebaut hat: Darauf wiesen alle Redner bei der Vernissage hin. Uni-Präsident Prof. Stefan Hormuth versprach darüber hinaus, alle Veranstaltungen des Uni-Jubiläums zum 400-jährigen Bestehen sollten wie diese Ausstellung den Bürgern der Stadt öffentlich zugänglich sein. Kulturdezernent Dr. Reinhard Kaufmann würdigte am Beispiel der Antikensammlung die “seit 20 Jahren glückhafte und vorbildliche Kooperation” von Universität und Oberhessischem Museum.

Auch Anja Klöckner, die seit anderthalb Wochen die Professur für klassische Archäologie innehat, betonte zunächst, dass die Antikensammlung aus dem Gießener Kulturleben nicht mehr wegzudenken sei. Über Honoré Daumier, der ein sehr umfangreiches künstlerisches Werk schuf und jahrelang jeden Tag ein neues Blatt zeichnete, bis er erblindete, führte sie aus, sein Ziel sei es gewesen, Zeitgenössisches durch Verfremdung zum Ausdruck zu bringen. “Die Zeichnungen mit ihrer oft derben Komik wirken unglaublich frisch und aktuell. Das Menschliche, Allzumenschliche, ist darin mit sehr spitzer Feder aufgespießt”, sagte sie. Beide Geschlechter kämen bei ihm nicht gut weg.

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Die Ausstellung im Wallenfels´schen Haus, Kirchenplatz 6, ist bis zum 22. Juli zu sehen, dienstags bis sonntags 10 bis 16 Uhr. Eintritt frei. Der Katalog ist für zehn Euro erhältlich.

USINGER ANZEIGER, 27.4.2007