Blaumacher und Kulturträger: Absinth, die “grüne Göttin”

Meine Geschichten – Von Klaus Geitel

Erstaunlicherweise ist das kostbarste aller Getränke selten gerühmt und besungen worden. Sogar die sonst alles Erdenkliche lauthals beschreiende Reklame ist ausgerechnet vor diesem Getränk verstummt. Es handelt sich um die Muttermilch. Ihr einziger Nachteil: Sie wird im Händchenumdrehen wieder vergessen. Sie weicht, gottergeben und widerstandslos, dem Wasser, dem Tee, dem Kaffee, dem Saft, dem Bier, dem Wein, dem Champagner. Dem Alkohol.

Alles schön und gut – wenn mit Maßen genossen. Dennoch wuchs sich ein alkoholisches Getränk namens Absinth im Verlauf der Jahrzehnte derart mörderisch aus, daß Frankreich es vor hundert Jahren per Gesetz vom Markt nahm. Man versoff davon 1912 inzwischen sage und schreibe knapp 122 Millionen Liter pro Jahr. Frankreich wollte aber seine Soldaten nicht betrunken in den Krieg torkeln sehen. Es verbot die angebetete “Grüne Göttin”.

Der Absinth aber hatte sich längst schon zum Kulturträger ersten Ranges gemausert. Er eröffnete den Zugang zu den viel verheißenden “künstlichen Paradiesen”, aus denen es sich allerdings allzu leicht in sehr reale Höllen hinabstürzen ließ. Diese Abstürze haben die großen Maler der Epoche immer erneut mit Pinsel-Inbrunst glorifiziert. Was den einen als “auf Flaschen gezogener Wahnsinn” erschien, galt anderen, wie Alfred Jarry, Schöpfer des “Ubu Roi”, ohne Umschweif als “Heiliges Wasser”. Er öffnete Champagnerflaschen mit Vorliebe, indem er ihnen mit der Pistole die Hälse zerschoß.

Charles Baudelaire schreibt in den Prosa-Gedichten des “Spleen von Paris” von einem Freund, der sich herzlich darum bemühte, einen Wald anzuzünden, nur um zu sehen, ob er wirklich so rasch niederbrenne, wie man behauptete. Zehnmal schlug sein Versuch fehl, beim elften Mal gelang er nur allzu gut. Für Oscar Wilde glich die Schönheit eines Glases voll Absinth der eines berauschenden Sonnenuntergangs.

Leider ging beim Trinken nicht einzig die Sonne unter. Der Alkoholgehalt im Absinth belief sich schließlich auf herausfordernde 72 Prozent. Viele Stationen auf diesem Weg zur Selbstvernichtung haben die bedeutenden Maler der Zeit festgehalten: von Manet und Degas zu Daumier, von Toulouse-Lautrec über Gauguin zu van Gogh und Picasso. Eine Parade der weltverlorenen Schreckensgestalten. Das vielleicht schauerlichste Bild aber lieferte wohl nicht die Malerei, sondern die Photographie. Sie zeigt den einsamen Verlaine, in die Sofaecke eines Cafés gekauert, die Augen zu Schlitzen verengt, vor sich auf dem Tisch ein hohes, randvolles Glas mit Absinth.

Auf jeden Fall war es vernünftiger, Absinthtrinker nur zu malen, statt sich bei ihnen einzureihen. Sie gefährdeten nicht einzig das eigene, sondern auch fremde Leben. Verlaine befand sich zweifellos im Absinth- und Eifersuchtsrausch, als er auf Arthur Rimbaud, den jungen Dichterfreund, losging und auf ihn schoß. Glücklicher- und hoffentlich auch ernüchternderweise traf er ihn bei drei Schüssen nur einmal und zwar ins Handgelenk. Nicht nur trinken, auch zielen will eben gelernt sein.

Aus der Berliner Morgenpost vom 10. Mai 2006

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